5. September 2024 – Kopfschmerzen sind für etwa 40 Prozent der Erwachsenen in Deutschland ein häufiges Gesundheitsproblem [1] – auch immer mehr Kinder und Jugendliche im Schulalter sind davon betroffen [2]. Dennoch erhalten die wenigsten eine ärztliche Diagnose und passende Therapie. „Diese besorgniserregende Entwicklung kann ich auch aus meiner eigenen Praxis bestätigen. Gleichzeitig gibt es in Deutschland viel zu wenige spezifische Therapieangebote für junge Kopfschmerzpatientinnen und -patienten“, betont Prof. Dr. Gudrun Goßrau, Leiterin der Kopfschmerzambulanz am Uniklinikum Dresden und Generalsekretärin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. Anlässlich des Deutschen und Europäischen Kopfschmerztags 2024 warnt die Fachgesellschaft vor den weitreichenden Folgen dieser Entwicklung und fordert mehr Aufmerksamkeit für die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen.
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen haben Folgen für deren Lebensqualität und Zukunftsperspektiven. Besonders problematisch ist, dass unbehandelte Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter chronifizieren und sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzen können. Dennoch holten rund 80 Prozent der mehr als 2.700 Schülerinnen und Schüler mit mindestens zwei monatlichen Kopfschmerztagen aus einer Studie des Universitätsklinikums Dresden keine ärztliche Hilfe ein [3].
Migräne im Schulalter: Hauptursache für gesundheitliche und soziale Beeinträchtigungen
Migräne erweist sich als eine der Hauptursachen für gesundheitliche Einschränkungen bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen [4]. Die Auswirkungen sind gravierend: Die Betroffenen beschreiben Beeinträchtigungen der schulischen Leistungen und der allgemeinen Schulfähigkeit, emotionale Belastungen sowie soziale Isolation im Alltag [5]. Dies bestätigen auch Krankenkassendaten von mehr als 56.000 deutschen Schülerinnen und Schülern im Alter von 15 Jahren. Sie zeigten für Jugendliche mit Migräne im Verlauf von 10 Jahren ein 2,1-fach höheres Risiko für stressbedingte, auch somatoforme Störungen und ein 1,6-fach höheres Risiko für Rückenschmerzen [6].
Erhöhte Schmerzempfindlichkeit bei jungen Patientinnen und Patienten mit Migräne
Eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Dresden bestätigte außerdem, dass Migräne auch Einfluss auf die Schmerzempfindlichkeit und Reizwahrnehmung bei Kindern und Jugendlichen hat [7]. Die Studie verglich die sensorische Wahrnehmung von mechanischen Reizen, Schmerzreizen und Gerüchen von 103 Kindern und Jugendlichen mit primären Kopfschmerzen mit der von 69 gesunden Altersgenossen. Junge Patientinnen und Patienten mit Migräne hatten eine niedrigere Schmerzwahrnehmungsschwelle und damit eine höhere Schmerzempfindlichkeit als gesunde und als Kinder mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp. Darüber hinaus zeigte sich eine gesteigerte Geruchsempfindlichkeit bei jungen Kopfschmerzbetroffenen. Die Ergebnisse deuten auf eine erhöhte Gesamtsensibilität für verschiedene Sinnesreize bei Kindern und Jugendlichen mit primären Kopfschmerzen hin. „Die verstärkte Reizwahrnehmung kann den Alltag stark beeinträchtigen und möglicherweise zur Chronifizierung der Schmerzen beitragen“, erklärt Prof. Goßrau.
DMKG fordert mehr Forschung und Behandlungsmöglichkeiten
Die DMKG nimmt den Kopfschmerztag 2024 zum Anlass, das Bewusstsein für die zunehmende Problematik von Migräne und Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen zu schärfen. „Kopfschmerzen bei Kindern sind eine ernst zu nehmende Erkrankung, werden aber oft nicht so wahrgenommen. Diagnostik und Therapie werden nicht konsequent verfolgt, passende Behandlungsmöglichkeiten sind zu wenig vorhanden“, beklagt Prof. Goßrau. Sie betont die Bedeutung einer frühzeitigen adäquaten Behandlung sowie einer verbesserten Aufklärung von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und medizinischem Personal. Zudem müsse die Forschung zu kinder- und jugendspezifischen Therapieansätzen intensiviert und multimodale Behandlungsansätze wie z. B. das Dresdner Kinderkopfschmerz-Programm (DreKiP) müssten in Deutschland flächendeckend angeboten werden. „Kinder und Jugendliche sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Sie verdienen eine optimale medizinische Versorgung und Unterstützung, um langfristige gesundheitliche und soziale Beeinträchtigungen zu vermeiden.“
Literatur
1 Techniker Krankenkasse: TK-Gesundheitsreport 2020
2 Krause L et al. Kopf, Bauch und Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Bundesgesundheitsbl (2019); 62, 1184-1194
3 Nieswand V et al. The prevalence of headache in German pupils of different ages and school types; Cephalalgia (2019); https://doi.org/10.1177/0333102419837156
4 GBD 2016 Headache Collaborators. Global, regional, and national burden of migraine and tension-type headache, 1990-2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016. The Lancet. Neurology vol. 17,11 (2018); 954-976. doi:10.1016/S1474-4422(18)30322-3
5 Canfora M et al. More Than a Headache: Lived Experience of Migraine in Youth. Pediatric neurology vol. 146 (2023); 79-84. doi:10.1016/j.pediatrneurol.2023.05.019
6 Gerstl L et al. Migraine and the development of additional psychiatric and pain disorders in the transition from adolescence to adulthood. Cephalalgia. (2021); 41(13):1342-7 https://doi.org/10.1177/03331024211021792
7 Pieniak M, Höfer B, Knipping J et al. Children and adolescents with primary headaches exhibit altered sensory profiles – a multi-modal investigation. J Headache Pain. (2024); 25(1):111. Published 2024 Jul 9. doi:10.1186/s10194-024-01819-x
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Pressesprecherin der DMKG: Prof. Dr. med. Gudrun Goßrau
Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG, www.dmkg.de) ist seit 1979 die interdisziplinäre wissenschaftliche Fachgesellschaft für Kopf- und Gesichtsschmerzen, in der Ärzt:innen, Psycholog:innen, Physiotherapeut:innen, Pharmakolog:innen und Apotheker:innen organisiert sind. Die DMKG setzt sich für die Verbesserung der Therapie der vielen Millionen Patient:innen in Deutschland mit akuten und chronischen Kopfschmerzen ein. Die Fachgesellschaft fördert die Forschung und organisiert Fortbildungen für medizinische Fachberufe sowie einmal jährlich gemeinsam mit der Deutschen Schmerzgesellschaft den Deutschen Schmerzkongress.
Mit der Initiative »Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen« will die DMKG die Kopfschmerzversorgung verbessern. Im Fokus stehen Migräne, Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch, Kopfschmerz vom Spannungstyp und Clusterkopfschmerz. Das Angebot richtet sich an alle, die in der Versorgung von Kopfschmerzpatient:innen tätig sind: www.attacke-kopfschmerzen.de. Die Initiative wird finanziell unterstützt von den Unternehmen AbbVie, Lundbeck, Novartis, Organon und Teva. Alle fachlichen Inhalte sind von Expertinnen und Experten aus den Reihen der unabhängigen DMKG ehrenamtlich verfasst und nicht von Werbebotschaften beeinflusst.